Ahnenforschung zur Europäischen Sumpfschildkröte

25.09.2020, Katja Rauchenstein
Schildkröten sind faszinierende Tiere. Mit ihrer gemütlichen Art, ihrer aussergewöhnlichen Erscheinungsform und ihrer hohen Lebenserwartung ziehen sie einen schnell in Bann. Die Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis orbicularis) ist die einzige Schildkrötenart, die natürlicherweise in der Schweiz vorkommt. Sie galt lange Zeit als ausgestorben. Zwar lebt sie heute in kleiner Zahl in einigen wenigen Gebieten. Doch sind sich die Froschenden uneinig, ob es sich dabei wirklich um einheimische Überlebende handelt oder um gebietsfremde ausgesetzte Tiere. Begeben wir uns auf Schildkröten-Ahnenforschung.
Schwierige Ahnenforschung

Tatsächlich ist die Indizienlage rund um das Vorkommen der Europäischen Sumpfschildkröte ziemlich verworren. Manche Forschende vertreten den Standpunkt, dass die Europäische Sumpfschildkröte nie in der Schweiz heimisch war, sondern schon vor dem Mittelalter als Handelsware genutzt und möglicherweise auch ausgesetzt wurde. Eine andere Theorie besagt, dass sie früher sehr wohl heimisch war, aber durch Lebensraumzerstörung und Bejagung an den Rand des Aussterbens gebracht wurde. Sicher ist, dass zwischen 1950 und 1980 Tiere ganz unterschiedlicher Herkunft sowohl in offiziellen Wiederansiedlungsversuchen als auch inoffiziell durch private Aussetzungen freigelassen wurden. Wodurch die Ahnenforschung nochmals deutlich erschwert wurde.

Eine der zahlreichen Unterarten (Emys orbicularis galloitalica).

Das Aussetzen gebietsfremder Tiere kann zu Problemen im Fortpflanzungserfolg führen, da solche Tiere an ein anderes Klima angepasst sind und sie sich in der Wahl des Nistplatzes, der benötigte Bruttemperatur oder bezüglich des Legetermins unterscheiden können.

Hinweise auf einheimische Herkunft

Zahlreiche genetische Studien befassten sich in den letzten Jahren mit der Herkunft der Sumpfschildkröte und verglichen in der Schweiz gefundene Individuen mit alten Exemplaren aus Museen. Dabei fanden sich bei ein paar wenigen Individuen Übereinstimmungen, bei denen es sich um natürlicherweise vorkommende, sogenannte autochthone Tiere handeln könnte. Möglicherweise hatten sie in ungestörten Bereichen unserer Gewässer überlebt.
Heute gibt es nur wenige Orte in der Schweiz, wo sich die Europäische Sumpfschildkröte natürlicherweise vermehrt, beispielsweise in den Rhone-Auen im Kanton Genf. Mit einer Dichte von 64 Tieren pro Hektare gehört diese Population zu den grössten von Europa. Zu einem Grossteil handelt es sich dabei zwar um gebietsfremde Tiere unterschiedlichster genetischer Linien, ein kleiner Anteil davon stammt aber wahrscheinlich von unserer heimischen Sumpfschildkröte ab.

Die europäische Sumpfschildkröte erkennt man am rost- oder olivbraunen Panzer und den gelben Tupfen, Flecken oder Linien, die den Panzer, Kopf, Hals, Gliedmassen und Schwanz überziehen.
Hilfe durch Wiederansiedlung und Lebensraumschutz

Seit 2010 gibt es Wiederansiedlungsprojekte in der Schweiz. Wobei nur Individuen in die Freiheit entlassen werden, die der heimischen Sumpfschildkröte genetisch sehr ähnlich sind. Die besten Auswilderungsabsichten nützen jedoch nicht viel, wenn der Lebensraum nicht vorhanden ist. Die Sumpfschildkröte braucht Feuchtgebiete. Sie bevorzugt ruhige Gewässer mit vielen Pflanzen und mit schlammigem Grund. Für den Fortbestand einer Population sind gut erreichbare Magerwiesen oder sandige Hügel unerlässlich, die vor Überschwemmung geschützt sind. Diese Orte nutzen die Weibchen zur Eiablage.

Die Europäische Sumpfschildkröte gilt als „Leitart“, die nur in einem intakten Ökosystem überleben kann und sensibel auf Veränderungen reagiert. Und nicht nur die Sumpfschildkröten sind auf gut strukturierte Feuchtgebiete als Lebensraum angewiesen, auch viele andere Arten profitieren von solchen Gebieten. Der Schutz von Feuchtgebieten ist daher ausserordentlich wichtig, damit die Sumpfschildkröte mit ihrer komplexen Ahnentafel überleben kann.

Im Frühsommer kann man die Tiere am besten beim Sonnenbaden beobachten - schwimmende Äste in Ufernähe oder im Schilf sind ideale Plätze dafür.
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Artporträt